Therapie des Phantomschmerzes und anderer starker Schmerzen

(Ratschläge und Fortbildung von Mavera)

Im Rahmen meines Motorradunfalles im Februar wurde mir das rechte Bein amputiert. Nachdem ich nun selbst als Arzt in der Rehabilitation tätig war und auch Phantomschmerzen behandelte, habe ich nun die Gelegenheit, alles aus eigener Ansicht beschreiben zu dürfen.

Phantomschmerzen sind meist der allgemeinen Bevölkerung unbekannt und vor allem unverständlich. Argumente wie: wie soll denn ein Bein wehtun, das gar nicht mehr da ist, dass musst Du mir erklären (Naseweis setzt ein extrem schlaues Gesicht auf)

Phantomschmerzen sind der Wissenschaft lange bekannt, mehrfache Erklärungsversuche verdeutlichen die Unkenntnis über das Zustandekommen dieses Phänomens. Schmerzen selbst sind in der Medizin lange nicht richtig gedeutet worden und damit die richtige Therapie unbekannt gewesen.

Was ist das eigentlich? Nachdem ein Organ oder Körperteil wie Arm oder Bein oder Zahn amputiert wurden, kommt es oft, nicht immer, zu Phänomenen in den entfernten Körperteilen, die nicht mehr vorhanden sind. Sei es das Empfinden, der fehlende Arm würde gestikulieren, das Bein sei noch vorhanden, vielleicht etwas kürzer als sonst oder Schmerzereignisse in dem fehlendem Bein wie Zucken, Brennen, Mißempfindungen als ob eine Socke um das Bein zu eng geschnürt sei etc. Es können heftige Schmerzen einsetzen, die irgendeine andere Tätigkeit als die Wahrnehmung der Schmerzen ausschließen, also Tätigkeiten wie Denken, Schreiben aber auch Schlafen sind nicht mehr ausführbar. Wie wir schon berichtet haben (Link zum Artikel: Schmerz, Depression, Sexualität)  , bedingen Schmerzen andere Krankheiten wie Depression, Bluthochdruck, affektives Fehlverhalten wie aggressive Impulsdurchbrüche, Konzentrationsstörungen, die gar zur Erwerbsunfähigkeit führen können.

Werden diese Symptome nicht kompetent behandelt, werden sie meist schlimmer. Zur kompetenten Behandlung sollte ein kompetenter Arzt hinzugezogen werden. Da wird es bereits für den Patienten schwer. Prinzipiell sollte der Arzt in seiner Krankenhaustätigkeit in konstruktiver Zusammenarbeit mit dem erfahrenem Chef diese Krankheiten längere Zeit behandelt haben. Selbst unter den Neurologen oder Orthopäden ist diese Fortbildung erschreckend selten.

Gute Erfahrungen haben wir gesammelt mit der Therapie mit Amitryptilin (Saroten, Equilibrin, Novoprotect, Amioxid). Nach der ersten Gabe wurde eine Linderung der Schmerzen von 30% innerhalb von 12 Stunden berichtet. Nach Wochen der Medikation Schmerzlinderungen um bis zu 90%. Amitryptilin ist ein Mittel, welches ansonsten bei Depressionen eingesetzt wurde. Bei dieser Indikation nach meiner persönlichen Erfahrung niemals mit Erfolg, die Depressionen wurden als unverändert beschrieben. Amitryptilin hat unerwünschte Wirkungen wie Müdigkeit, die durchaus die täglichen Arbeiten einschränken kann, Autofahren und Tätigkeiten mit Gefährdungspotenzial sollten gemieden werden. Auch das Herz kann betroffen werden, so dass hier auch wieder die Kompetenz des Arztes gefragt ist.

Die üblichen Schmerzmittel wie Aspirin, Diclofenac, Paracetamol etc. wirken gar nicht gegen o.g. Symptomatik.

Morphium, besser noch Methadon wirken gut innerhalb von Minuten, Morphium wirkt einige Stunden (ca. 4), Methadon 20 Stunden (eigene Erfahrung). Opiate haben ebenso starke unerwünschte Wirkungen, können lebensgefährlich sein und zur Abhängigkeit führen. Meiner Meinung nach stellen sie trotzdem das Mittel der ersten Wahl da, da sie schlicht und ergreifend sofort wirksam sind und den Patienten von dem Übel Schmerz befreien. Ich selbst habe manches Mal den schmerzfreien Zustand wie Urlaub von den Schmerzen empfunden. Nebenwirkungen der Opiate sind Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Teilnahmslosigkeit bis hin zum völligen Desinteresse des Geschehens, Koordinationsstörungen mit Erhöhung der Unfallgefahr etc. Aber auf der anderen Seite ist man unter der Medikation mit Opiaten sowieso nicht so aktiv, so dass die Unfallgefahr keine Rolle spielt, würde man auf die Opiate verzichten, liegt der Betroffene eh nur im Bett und krümmt sich und stöhnt vor sich hin. Meiner Meinung nach sind die Opiate deshalb das Mittel der ersten Wahl, weil sie nicht nur die µ-Rezeptoren aktivieren (Schmerz weg, Euphorie stärker etc.), sondern auch die Kapparezeptoren. Die Kapparezeptoren sitzen im Rückenmark und unterdrücken die Weiterleitung des Schmerzes an das Gehirn. Folglich wird das Gehirn erst gar nicht mit irgendwelchen Schmerzen belästigt und kann sich auch nicht auf die Schmerzwahrnehmung einstellen.

Denn es existiert ein Irrglaube in der Bevölkerung, dass man die Empfindung von Schmerz trainieren kann. Also viele Schmerzen erlebt, später kaum noch wahrgenommen. Das ist falsch, das Gegenteil ist zutreffend, je mehr Schmerz erlebt wurde, umso schlimmer wird er. Das Gehirn erlernt die Schmerzwahrnehmung wie ein trainierter Muskel und umso heftiger wird die Symptomatik. Dauerhaft erlebte Schmerzen sind extrem schlimm und können ohne positive Perspektive zum Selbstmord führen. Für mich inzwischen verständlich. Ich hatte das Glück, in der Zusammenarbeit mit den thailändischen Kollegen meine eigene Therapie durchführen zu dürfen. Derzeit quälen mich die Phantomschmerzen nur nachts beim Einschlafen, insbesondere wenn der Tag besonders aktiv war mit Sitzen, Laufen. Das Amitryptilin hilft wenig, 5 mg. Methadon bewirken sofortige Schmerzfreiheit mit der Nebenwirkung, dass ich 20 Stunden benebelt und arbeitsunfähig bin, 20 mg Morphium sorgen für einige Stunden Schmerzfreiheit, so dass man fast durchschlafen kann. Marinol (THC, Cannabis, Haschisch) ist in Deutschland legal, in Thailand nicht erhältlich und wirkt ebenso innerhalb von 2 Sekunden bis zur völligen Schmerzfreiheit für etwa wenige Stunden.

Wichtig in der Therapie der Schmerzen ist, den auftretenden Schmerz sofort zu beseitigen, komplett. Viele dosieren die Opiate zu gering, da sie ja so fürchterlich gefährlich sein sollen (Unfug), ist bereits die erste Dosis zur völligen Schmerzfreiheit ausreichend, ist der Schmerz i.a. für lange Zeit weg. Die nachfolgende Medikation kann geringer ausfallen. Wenn überhaupt notwendig.

Wie entsteht der Phantomschmerz, das Bein ist doch weg, wie kann das dann weh tun? Nun, eine der früheren Theorien war, dass im Bereich der Amputationswunde die Nervenenden, die schließlich vorher ihren Dienst vom Großzeh bis ins Hirn geleistet haben, irritiert sind und Falschmeldungen an das Gehirn liefern, die dieses als Schmerz oder andere Sensationen wie Bewegungen, Schläge, zu enge Socken wertet. Diese Theorie führte zu unterschiedlichen Behandlungsstrategien, die sich als wenig erfolgreich gezeigt haben und deshalb verworfen wurden. Ich kann aus eigener Anschauung und Erfahrung berichten, dass diese Theorie doch zutreffend ist. Denn bei Manipulationen an meiner Amputationswunde wie bei der täglichen Wundreinigung, lassen sich zielsicher Phantomschmerzen auslösen. Diese steigern sich über Stunden zu unerträglichen Schmerzen.

Eine weitere Theorie besagt, dass im Gehirn alle Organe repräsentiert sind. Klar, das Gefühl der Milz geht an ein anderes Areal im Gehirn als das des Beines. Auch wenn das Bein weg ist, sioltte das Gehirn noch da sein. Das bislang für das Bein zuständige Areal vermisst seinen Kommunikationspartner und sucht eifrig nach ihm. Man kann sich das so verstellen, als ob das Gehirn wie ein Radioempfänger sich fein und empfindlich abstimmt, so dass kleine Reize wie ein großer Schmerz wahrgenommen werden.

Welche Theorie stimmt? Beide, die Wahrheit liegt immer in der Mitte und jede Theorie erklärt den Phantomschmerz.

Welche Therapie bei Phantomschmerz? Wie oben gesagt, die richtigen Schmerzmittel richtig einsetzen. Hypnose wird als erfolgreich beschrieben und dies ist in meinen Augen glaubhaft. Akupunktur, virtuelle Realität werden ebenso als erfolgreich beschrieben.

Liebe. Denn Liebe heilt alle Wunden. Es ist erwiesen, dass Patienten in der Rehabilitation eher Fortschritte machen und bereit sind zu kämpfen und sich weniger den Depressionen hingeben, wenn sie aktuell einen Partner lieben und diese Liebe erwidert wird.

Sex? Ja! Sex lindert Schmerzen, macht glücklich und ist erstens sowieso gut und auch für die Haut. Mit wem? S.o.

Positives Denken. Und dafür kämpfen. Haben die Patienten mit Liebe und Sex aber ohnehin, als erwünschte Nebenwirkung.

Noch ein letzter Gedanke zur Abhängigkeit bei der Medikation mit Opiaten. Dieses Phänomen tritt auf. Aber nicht bei jedem Patienten. Eher selten sogar. In den 80er Jahren hieß es noch in den Ärzteblättern, dass Morphium gut wirksam sei gegen stärkste Schmerzen wie bei Herzinfarkt oder Bauchspeicheldrüsenentzündung. Das stimmt. Aber spätestens bei den Leserzuschriften von Ärzten hieß es unisono: die Sucht, die Sucht. Also beim Herzinfarkt kann der besorgte Kollege es ja mal mit einem Placebo versuchen, vielleicht sogar Biofeedback, wenn der Patient verstorben ist, spielt die Sucht auch keine Rolle mehr. Der letzte Satz war sarkastisch gemeint angesichts der Unwissenheit in der Medizin. Aber die böse böse Sucht war lange Jahre der böse, dunkle Schatten über der Opiattherapie. Inzwischen weiß man, alles Unfug. Es ist zu unterscheiden, ob ein Mensch Morphium nimmt zu Rauschzwecken oder der anderer Stimulation wie bei Heinrich Heine selbst beschrieben oder ob ein Patient zur Linderung seiner Symptomatik vom Arzt Opiate verschrieben bekommt. Der erste hat ein hohes Suchtrisiko, der letzte kaum eines. In der Lübecker Station für Frauenheilkunde haben wir den Patientinnen bei Bedarf wie bei schmerzhaften Krebserkrankungen Megadosen Morphium verschrieben, 200 mg täglich waren keine Seltenheit. Diese Patientinnen haben wir in das Lübecker Umland nach Hause entlassen. Nun gehört das Lübecker Umland zur norddeutschen Tiefebene und ist von Bauern bevölkert. Bei den mir bekannten Kollegen habe ich teilweise schon gerätselt, ob diese bereits die Intelligenz der sie umgebenden Huftiere angenommen hatten. Die Wahrheit ist erschreckend. Übereinstimmend haben die Patientinnen, als sie mal wieder einen Termin in der Frauenklinik hatten zur Nachuntersuchung, dass ihre Hausärzte zu dumm waren Betäubungsmittelrezepte zu bestellen und deshalb keine Opiate verschreiben konnten. Auf die Frage nach der ausreichenden Schmerzbekämpfung wurde regelmäßig angegeben, dass Aspirin und ähnliche eine ebenso gute Wirkung hätten wie das Morphium. Dieser Effekt ist inzwischen wissenschaftlich bestätigt. Die Frage nach den Entzugserscheinungen wurde negiert, keine Entzugserscheinungen bei abruptem Beenden der hochdosierten Opiattherapie. Also ist die Frage nach der Sucht damit beantwortet, selten tritt bei kompetenter Opiattherapie eine Sucht auf.

Wobei die Betonung auf kompetente Therapie liegt, verordnet durch in der Schmerztherapie erfahrenen Ärzten unter Berücksichtigung moderner Erkenntnisse, insbesondere in der Opiat- oder Opioidtherapie! Unsere Empfehlung zur Medikation mit Opioiden schließt eine Selbstmedikation aus. Prinzipiell muß nach deutschem Recht auf die Gefahr der Sucht- oder Abhängigkeitsentwicklung bei der Therapie mit Opioiden hingewiesen werden, aber nach unseren Erfahrungen sind die Gefahren je nach Therapieform unterschiedlich. Z.B. ist die Suchtgefahr bei einer Morphiumtherapie mittels Morpiumpumpe deutlich höher als bei Tablettengabe! Die Alternative zu einer Medikation mit potentiell nebenwirkungsreichen Medikamenten sind unerträgliche Schmerzen. Der nicht informierte Leser sei auf das Wort unerträglich hingewiesen.

Übrigens ein norddeutscher Leitsatz zum Opium: Opium bringt Opi um.

Schlagwörter Phantomschmerz Amputation Morphium Methadon Amitryptilin Liebe Sex positives Denken Opium Sucht Mavera creme Maveracream Marvea Ratschläge von Mavera

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Heiko Bonin (Samstag, 12 April 2014 08:10)

    Hallo,

    Sie können gar nicht glauben, wie sehr ich Ihren Bericht bestätigen kann. Ich bin selber links hoch oberschenkelamputiert und zusätzlich noch inkomplett TH12 querschnittgelähmt. Seit der Amputation habe ich anfallsartige und massivste Nervenschmerzen und nehme deswegen ein schnell wirksames Opiat ein. Besonders schlimm sind die Nervenschmerzen, wenn ich zu lange mit der Einnahme des Opiates warte. Dann wird es echt schwer, die Schmerzen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aber auch Ihr Kommentar zu Thema Sex und von allen Dingen "Liebe" kann ich voll und ganz unterschreiben. Wenn man einen Menschen liebt, hat man einen Grund zu kämpfen und nicht aufzugeben. Wenn ich meine Frau nicht hätte (habe ich 2 Wochen vor Eintritt meiner Querschnittlähmung kennengelernt), dann würde die Welt wahrscheinlich komplett anders aussehen. So habe ich aber einen Grund zu kämpfen und mein Leben so positiv wie nur möglich zu sehen und zu gestalten. Aber wie Sie schon sagten, ist Sex auch eine gute Möglichkeit gegen Schmerzen und für das Leben: Jedoch habe ich gemerkt, dass Sex nur machbar ist, wenn die Schmerzen nicht zu stark sind. Wogegen aber Sex sehr gut ist, ist gegen Spastiken. Das habe ich schon mehrfach bemerkt, dass Sex bei starken Spastiken meine Muskeln nach und nach wieder entspannt.
    Leider muss ich Ihnen auch in dem Punkt Recht geben, dass es kaum erfahrene Neurolgen oder Orthopäden gibt, die sich zumindest halbwegs mit Nervenschmerzen auskennen. Richtig katastrophal wird es aber, wenn Sie einen Arzt finden wollen, der sich mit Querschnittlähmungen auskennen soll. Solch einen Arzt suche ich bereits seit 4 Jahren, aber ohne Erfolg. Es kommt immer der Standartsatz:"Mit MS, Alzheimer oder Demenz, kenne ich mich aus. Aber Querschnittlähmung habe ich nur während meiner Ausbildung gehabt und danach nie wieder!" Genauso ist es auch mit Phantomschmerzen nach Amputation. Manchmal hatte ich schon das Gefühl, dass ich für die Ärzte nur ein "Versuchskaninchen" bin, mehr nicht! Wenn es nicht klappt mit der Behandlung, dann soll er sich eben einen neuen Arzt suchen!

    Kurzum ich kann nur sagen, dass Ihr Beitrag echt einsame Spitze ist! Ich habe noch nie einen Beitrag gelesen, der die Sache so eindeutig und von allen Dingen richtig auf den Punkt gebracht hat. Das positive an der Sache mag aber sein, dass Sie zum Einen Arzt sind, aber zum Anderen jetzt Schmerzen und Amputation aus eigener Sicht einmal kennengelernt haben. Denn es ist ein riesen Unterschied, ob ich etwas nur aus dem "Schulbuch" kenne oder ob ich es selbst eigenständig erlebt habe.

    Mit freundlichen Grüßen

    Heiko Bonin

  • #2

    Michael v. Mavera (Sonntag, 13 April 2014 05:08)

    Danke für Ihren zustimmenden Kommentar. Wenn Sie weitergehende Fragen haben, können Sie gerne Kontakt mit mir aufnehmen oder mich in Samui besuchen.
    Wir Einbeiner müssen zusammenhalten.
    Liebe Grüße
    Michael

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